"Harrington on Hold'em" gilt in der Welt der Turnierspieler als eines der großen Werke (vergleichbar nur mit Doyle Brunsons "Super System 2"). Und seine Ausführungen zu Paul Magriels "M" waren wahrscheinlich nicht nur für mich eine wertvolle Information die das eigene Turnierspiel verändert und verbessert hat. Mit "M" bezeichnet Harrington dabei das Verhältnis des eigenen Stacks zur Summe aus Blinds und Antes. Mit einem Stack von 6.000 hätte man also bei 100/200 Blinds daher noch 20 Runden im entsprechenden Level bevor man seinen Stack verloren hätte (unter der imaginären Voraussetzung, daß man keine Hand mehr spielt). Harrington teilt das Ganze dann in verschiedenen Zonen ein. Aus diesen Zonen ergeben sich dann veränderte Spiel- und Setzweisen.

Seit einiger Zeit gibt es nun eine Diskussion ob "M" denn tatsächlich ein korrekter Indikator ist. Angestossen wurde dies durch einen Artikel von Arnold Snyder auf seiner Webseite Poker Tournament Formula in der er von einem "Fehler" in Harringtons System spricht. Snyder hat selber ein Bewertungssystem "erfunden" und in seinem Buch "The Poker Tournament Formula" vorgestellt. Diese relativ komplexe Formel arbeitet mit etwas anderen Variablen als die Berechnungen von Harrington. Snyder verwendet ebenfalls die Blinds & Antes. Aber im Gegensatz zu Harrington betrachtet er die Startchips und die Blindlängen. Genau hier fängt nun Snyders Vorwurf an – denn Harrington vernachlässigt nach seiner Meinung die unterschiedlichen Blindlängen. Damit sei die Formel als "Patience Factor" (wie Snyder seine Formel nennt) ungeeignet. Die Berechnung des "Patience Faktor" kann mit einer Excel Tabelle durchgeführt werden, die man unter http://www.blackjackforumonline.com/content/Patience_Factor_Calculator.xls herunterladen kann.

Dan Harrington dürfte den meisten Pokerspielern onehin bekannt sein bekannt sein. Aber auch Arnold Snyder ist kein unbekannter Name in der Welt der Spielkarten. Zwar nicht in der Pokerwelt aber im Black Jack – Stichwort “Cardcounting” bzw. “Shuffle Tracking”. Und ähnlich wie beim BJ würde Harringtons "M" eben nur den "Running Count" angeben und nicht den "True Count" der dort auch die Anzahl der verwendeten Decks berücksichtigt.

Auch wenn ich aus meinen eigenen BJ-Zeiten eine große Hochachtung vor Arnold Snyder habe, schießt er hier über das Ziel hinaus bzw. hat m.E. Harrington nicht richtig verstanden. Das zeigt auch seine Kritik an Steve Zolotow der Harringtons Formel in einer Ausgabe des Cardplayer Magazins verteidigt hat: "Your strategy should be based not upon the speed of the tournament as a whole, but on your current chip position in relation to current blinds". Allerdings scheint auch Zolotow zu übersehen, daß es eigentlich gar nicht um die Frage geht welche der beiden Formeln nun genauer oder besser ist, sondern vielmehr um die Frage welches der praktische Nutzen der jeweiligen Ergebnisse ist.

Snyders Formel ist kompliziert und am Tisch nicht einsetzbar weil man sie nicht im Kopf ausrechnen kann. Außerdem berücksichtigt sie, wie Zolotow korrekt anmerkt, eben nicht den aktuellen Chipstand. Und auch wenn Snyder seine Formel in seinem Buch gerne als Basis für eine korrekte Turnierstrategie verkaufen möchte kann ich hier Harrington und Zolotow nur beipflichten, daß für eine korrekte Strategie die Höhe des eigenen Stacks zum aktuellen Zeitpunkt ein wesentliches Kriterium ist. Denn was nützt ein schöner Startstack und lange Blindlevel wenn man zu einem beliebigen Zeitpunkt des Turniers nicht mehr genügend Chips hat um die Struktur tatsächlich ausnutzen zu können (warum auch immer man in diese Situation gekommen ist)?

Was Snyders Formel aber leistet ist eine Einschätzung über die grundsätzliche Qualität eines Turniers. Daher war die Formel auch perfekt geeignet um herauszufinden, daß sich die Qualität der WSOP-Turniere im Jahr 2007 durch die Verdopplung der Startstacks nur marginal verbessert hat (da im Gegenzug einige Level weggefallen sind).

Im Gegensatz dazu ist Harringtons "M" das Tool, das man mit zum Tisch bringen kann. Man muß kein Mathe-Genie sein um "M" zu berechnen. Aber "M" ist eben nicht die Berechnung eines "Patience Factors". Genau das aber scheint Snyders Fehleinschätzung zu sein wenn er behauptet: "It’s a grave error for tournament players to focus on how long they can survive if they just sit and wait for premium cards". Harrington geht bei seiner Formel niemals davon aus, dass sich ein Spieler willentlich "herunterblinden" läßt. Eine Fehleinschätzung, der übrigens auch viele andere Pokerspieler erliegen wenn es um "Deep-Stack"-Turniere geht (aber das ist schon wieder ein Thema für einen eigenen Artikel). Vielmehr erhält man eine "Momentaufnahme" seiner eigenen Position (siehe Zolotows Zitat). Diese verändert sich natürlich ständig. Und ganz klar verändert sie sich bei einem Limit-Wechsel. Wenn man also bei 100/200 noch ein "M" von 20 hat (und damit in einer komfortablen Zone) ist man im nächsten Level bei 200/400 nicht mehr im Komfortbereich ("M"=10). Dementsprechend muß eben man auch sein Spielverhalten (entsprechend Harringtons Zonenstrategie) ändern. Dasselbe gilt aber eben genauso, wenn man einen großen Pot gewinnt oder verliert. Betrachtet man "M" aber als Momentaufnahme ist eben die Länge der Blindlevels für die nächste Aktion (Bet, Raise, Fold) erst einmal nicht von Bedeutung.

Wenn es überhaupt eine berechtigte Kritik an Harrington gibt, dann ist es seine "Unterbewertung" von "Q". Mit "Q" bezeichnet er das Verhältnis des eigenen Stacks zum Durchschnitts-Stack. Damit bietet "Q" einen Indikator wie man im Turnier gegenüber den Gegnern positioniert ist (während "M" die Positionierung gegenüber den Blinds definiert). Allerdings sagt Harrington daß "M" der stärkere Indikator gegenüber "Q" ist falls beide gegensätzlich Signale geben. Dies mag für "Deep-Stack"-Turniere korrekt sein. Aber für viele kleinere Turniere stellt man fest, daß man sich strukturbedingt oftmals in den M<15 Zonen (Gelb und Orange) bewegt aber trotzdem ein "Q" hat, das deutlich über dem Durchschnitt liegt. Wenn man in dieser Situation, so wie es Harrington vorschlägt, "M" den Vorzug gibt wird man (speziell in den mittleren Turnierphasen) etwas zu aggressiv spielen.

Fazit: Harrington und Snyder haben den Poker-Turniersport um zwei wichtige Tools bereichert. Jedes der beiden ist ein mächtiges Tools, wenn man weiß wie man es korrekt einsetzt. Einen Grund sie gegeneinander auszuspielen gibt es nicht!